Der letzte Monat des Jahres hat oft eine ganz eigene Dynamik. Die Tage werden kürzer, die To-do-Listen länger. Es ist eine Zeit der Hektik, des Abschlusses, des Abarbeitens von Zielen, bevor die Feiertage beginnen und ein neues Jahr vor der Tür steht. Es fühlt sich an wie ein Sprint zur Ziellinie, bei dem oft die Besinnlichkeit auf der Strecke bleibt.
Aber was wäre, wenn der letzte Monat des Jahres nicht nur ein Countdown, sondern eine Einladung zu mehr Tiefe wäre? Was, wenn wir den Dezember nicht nur als eine Zeit des Abschlusses, sondern als eine Zeit der bewussten Zuwendung und Vertiefung erleben könnten?
Eine alte Tradition aus dem jüdischen Kalender bietet genau dafür eine überraschende und kraftvolle Perspektive. Sie verwandelt den letzten Monat von einer Phase des Beendens in eine Phase der reifenden Liebe. Lassen Sie uns drei inspirierende Impulse aus dieser Tradition entdecken, die unseren modernen Dezember verwandeln können.
Impuls 1: Den Dezember als „Monat der reifen Liebe“ gestalten Im jüdischen Kalender ist der letzte Monat des Jahres der Monat „Elul“. Dieses Wort ist mehr als nur ein Name; es ist ein Akronym für den hebräischen Satz „en Ledodi, Vedodi, Li“. Die deutsche Übersetzung lautet: „Meinem Geliebten gehöre ich und mir gehört der Geliebte.“
Aus diesem Grund wird der Elul als der „Monat der reifen Liebe“ bezeichnet – im bewussten Gegensatz zum anfänglichen, aufgeregten „Verliebt sein“. Es geht nicht um den Rausch des Neuen, sondern um die bewusste Vertiefung und Erneuerung dessen, was bereits da ist. Die Anregung für uns ist einfach und tiefgreifend zugleich: unseren letzten Kalendermonat, den Dezember, bewusst als eine Zeit zu gestalten, in der wir unsere bestehenden Beziehungen reflektieren und vertiefen – allen voran die spirituelle Beziehung zu Gott. Die alte Liebe soll wieder neu entfacht werden.
Dieser Gedanke ist so kraftvoll, weil er die Perspektive verschiebt. Statt Projekte abzuschließen, sind wir eingeladen, Beziehungen zu vertiefen. Statt abzuhaken, sind wir eingeladen, uns zuzuwenden. Der Dezember wird so zu einer Zeit der bewussten Hinwendung und der wachsenden Verbundenheit.
Impuls 2: Ein tägliches Ritual für Licht und Geborgenheit
Im Monat Elul gibt es eine besondere Praxis: dreimal täglich wird der Psalm 27 gebetet. Die Überschrift dieses Psalms fasst sein Versprechen wunderbar zusammen: „Die Nähe des Herrn gibt Licht und Geborgenheit.“ Er ist ein spirituelles Werkzeug gegen Furcht und eine Quelle der Zuversicht.
Die Eröffnungsworte allein haben die Kraft, eine Atmosphäre der Sicherheit zu schaffen: Der Herr ist mein Licht und mein Heil. Vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist für mein Leben wie eine schützende Burg. Vor wem sollte ich erschrecken?
Ein solches Ritual ist mehr als nur eine abstrakte Übung. Es schact eine tägliche Routine der Besinnung, die uns ganz praktisch erfahren lässt, was der Psalm in seiner Überschrift verheißt: dass die Nähe des Herrn uns Licht und Geborgenheit schenkt. Es verankert ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen im Alltag und erinnert uns daran, dass es eine Quelle von Licht gibt, selbst wenn die Tage dunkler werden.
Impuls 3: Spirituelle Liebe auf den Alltag übertragen
Die Reflexion über die Liebe zu Gott bleibt in dieser Tradition keine abstrakte Übung. Sie hat ganz konkrete Auswirkungen auf unser tägliches Leben, „denn das eine hängt ja mit dem anderen zusammen“. Die Art und Weise, wie wir unsere spirituelle Beziehung pflegen, beeinflusst direkt die Liebe zu unseren Mitmenschen, sei es zum Ehepartner, zur Familie oder zu Freunden.
Es geht darum, eine Liebe reifen zu lassen, die sich im alltäglichen Umgang zeigt. Der Psalm 27 formuliert den zentralen Wunsch, der hinter dieser Haltung steht: denn eins habe ich vom Herrn erbeten und das ist mein Wunsch alle Tage meines Lebens im Haus des Herrn zu wohnen, um die Freundlichkeit des Herrn zu sehen und über ihn nachzudenken dort in seinem Heiligtum.
Der Wunsch, bewusst „die Freundlichkeit des Herrn zu sehen“, kann unsere Interaktionen im Alltag grundlegend verändern. Er schärft den Blick für das Gute, für das Liebevolle, für das Verbindende in unseren Beziehungen und in der Welt um uns herum. Spirituelle Praxis wird so zu gelebter Nächstenliebe.
Fazit: Eine Einladung zur Vertiefung
Die alte Weisheit des Monats Elul lädt uns ein, den Dezember neu zu entdecken: nicht als stressigen Endspurt, sondern als eine bewusste Zeit der „reifen Liebe“. Es ist eine Einladung, die Hektik loszulassen und stattdessen die wichtigsten Verbindungen in unserem Leben zu nähren und zu vertiefen, um so neues Licht und ein tiefes Gefühl der Geborgenheit in diese wunderbare Adventszeit zu bringen.
Der Psalm 27, der diese Zeit begleitet, schließt mit einer zeitlosen Ermutigung, die uns durch den letzten Monat des Jahres tragen kann: „Hoffe auf den Herrn, sei stark und Dein Herz fasse Mut. Ja, hoffe auf den Herrn.“
Was könnte sich für dich verändern, wenn du diesen letzten Monat des Jahres bewusst der Vertiefung deiner wichtigsten Beziehungen widmest?

